Nr123 BLASENTEE

Tisana diuret­i­ca, BENEDICTUS 7,4 x 6,7 x 12cm (LxBxH); © mara 2021
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Wohlen, im Feb 2021

Lieber Freund

Die zunehmende Spal­tung der Gesellschaft hat viele Fam­i­lien, Fre­und- und sog­ar Part­ner­schaften aufge­brochen. Und nun hat es auch uns zwei erwis­cht. Ver­schiedene Ansicht­en in wesentlichen Din­gen. Du warst mir schmer­zlich weit weg, gestern. Abrupte Ein­samkeit in der Begeg­nung hin zu förm­lich­er Höflichkeit. Muss wirk­lich auf Abstand gehen, wer sich nicht mehr find­et im Gespräch? Wahrschein­lich hast Du intu­itiv recht gehabt. Denn da sind diese Blasen — unsere Blasen. Und dann ist da noch dieser Blasentee…

(Lieber als Pod­cast hören? → hier)

Kognitive Dissonanz und Vertrautheitsblasen

Die Angst vor KOGNITIVER DISSONANZ¹ — gle­icher­massen men­tale Schutz­funk­tion und ewige Scheuk­lappe des Homo Sapi­ens — ver­wehrt uns echte Meinungs‑, Glaubens- und Forschungs­frei­heit (nicht umson­st gehört Dop­pel­blind­heit zu den Gold­stan­dards der Natur­wis­senschaft). Unser Denken und Han­deln beruht nicht etwa auf Wis­sen, son­dern bewegt sich inner­halb ein­er VERTRAUTHEITSBLASE, ein­er Blase von Ver­trauen darauf, dass etwas SO UND NICHT ANDERS ist. Die ver­traute Ord­nung dieser BLASE struk­turi­ert und triagiert unser “Wis­sen” und Ver­hal­ten in der Welt in akku­rate, gutver­dauliche Gewis­sheit­en und Hal­tun­gen die uns an- und ein­passen und bewahrt uns vor ständi­ger Denkar­beit und sozialer Äch­tung in der Peer­group. Fes­ter Boden unter den Füssen, beruhi­gende Gewohn­heit­en die nicht weit­er erk­lärt wer­den müssen, Ord­nung und Sicher­heit statt quälende Zweifel. Je mehr bere­its in die Blase „investiert“ wurde, desto mehr wird man auch weit­er „investieren“ — um den Kurs hal­ten zu kön­nen. Zweifel wer­den aus­geschieden — unser Blasentee.
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¹) “Kog­ni­tive Dis­so­nanz” ist der wis­senschaftliche Begriff dafür, dass wir Wider­sprüche im Kopf als höchst unan­genehm empfind­en und unter allen Umstän­den aufzulösen ver­suchen. Deshalb wählen wir anstelle der unan­genehmen ehrlichen Antwort, dass wir falschla­gen, die angenehme Lüge, dass die neue Infor­ma­tion zweifel­haft ist. –> Weit­ere Infos

Die VERTRAUTHEITSBLASE weist uns den Weg, gibt Halt, Ori­en­tierung und damit eine Per­spek­tive. Man “weiss” auf welch­er Seite man ste­ht und auf welch­er bess­er nicht, wer dazuge­hört und wer nicht, Fre­und oder Feind, Links Mitte Rechts, Wahrheit oder Fake. Ohne die Sta­bil­ität unser­er VERTRAUTHEITSBLASE wären wir Desta­bil­isierte in per­ma­nen­ter Ungewis­sheit, frei flotieren­der Angst, am Zweifel Verzweifel­nde und let­ztlich zum Wahnsinn Getriebene. Denn echte Meinungs‑, Glaubens- und Forschungs­frei­heit wohnt nun mal im Luftschloss max­i­maler Unord­nung, zumal unser insuläres Wis­sen niemals hin­re­ichen­der „Steck­en und Stab“ sein kann zur Bewäl­ti­gung eines unauf­schieb­baren Lebens ohne Gebrauch­san­leitung. Stattdessen nötigt uns ozeanis­ches Nichtwissen und Rat­losigkeit — zur VERTRAUTHEITSBLASE. Zum geglaubten Wis­sen, zum Glauben, zum verzweifel­ten Dazuge­hören und zum Auss­chei­den von Zweifeln — zum Blasen­tee. Und — die VERTRAUTHEITSBLASE befähigt uns über­haupt erst, es miteinan­der auszuhal­ten. Arm in Arm, Hand in Hand, Seite an Seite, wir und “die Anderen”. Sie ist ein grundle­gen­der Mech­a­nis­mus zur Lebens­be­wäl­ti­gung. Das ist tragisch und das ist wahr.

Über­zo­gen von ein­er Flut von Infor­ma­tio­nen haben ja ger­ade wir “gebilde­ten” Intellek­tuellen die Illu­sion von Informiertheit. Wir fühlen uns über alles Wesentliche unter­richtet um abends “aufgek­lärt” und “wis­send” ins Bett zu steigen. Dabei verken­nen wir, dass wir es uns ein­fach bequem gemacht haben in der Kom­fort­zone unser­er VERTRAUTHEITSBLASE. Aus Angst vor Nebengeräuschen in der trügerischen Ruhe, vor der anderen Mei­n­ung, vor der Frei­heit, der ewigen Ungewis­sheit, der per­ma­nen­ten Unruhe. Aus Angst.

Schönwetterfreunde?

Wenn echte Fre­und­schaft meint, laut denken zu dür­fen, dann mag uns dies bei übere­in­stim­menden VERTRAUTHEITSBLASEN vielle­icht gegön­nt sein. Wer­den die gemein­samen Gewis­sheit­en und Hal­tun­gen nun aber — z.B. durch Kri­tik, Oppo­si­tion oder Wider­spruch — ein­seit­ig in Frage gestellt, begin­nt sich die „Ehe“ der Blasen und die Fre­und­schaft aufzulösen. Die syn­chrone Diurese (der zweisame Blasen­tee) ver­siegt. Man weiss nicht mehr auf welch­er Seite man ste­ht und auf welch­er bess­er nicht, wer dazuge­hört und wer nicht, wer Fre­und oder Feind, ob Links Mitte Rechts, was Wahrheit ist oder Fake. Die trügerische Ruhe wird gestört, statt Ord­nung und Sicher­heit herrscht nun Zweifel. Der durchrüt­telt, lähmt, stolpern lässt, aus geregel­ten Bah­nen wirft und unabläs­sig Fra­gen pro­duziert. Beruhi­gende Gewohn­heit­en sind es nicht mehr, der feste Boden unter den Füssen wack­elt. DAS MACHT ANGST! Dann aber sind Wut, Aggres­sion, Abw­er­tung des Anderen, Gle­ichgültigkeit bis hin zum absoluten Kon­tak­tab­bruch eigentlich “nur” noch nahe­liegende „Schutz­funk­tio­nen“ — ein­samer Blasen­tee bevor die Blase platzt.

ECHTE FREUNDSCHAFT IST NICHTS FÜR ANGSTHASEN

Auf unsere Freundschaft
Mara

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→ Zum Werk­kom­men­tar von W. Studer

Werk

Gle­icher­massen wie die Schlechtwet­ter­front, die sich aus Sicht der Mete­o­rolo­gie auf­grund der Summe aller zeitlichen, glob­alen und lokalen (Rah­men-) Bedin­gun­gen ergibt, lassen sich gesell­schaftliche “Sit­ten und Gebräuche” und deren Krisen — hier Leben und Fre­und­schaft in Ver­trauthe­is­blasen — let­ztlich als Ele­mente ein­er Rah­men­hand­lung ver­ste­hen, die sich auf­grund der Summe glob­aler, lokaler und per­sön­lich­er (Rah­men-) Bedin­gun­gen der Sozi­etät ergibt. Rein sprach­lich (nicht aber in der Sache) bliebe dem­nach sowohl ein mutiges DEN RAHMEN SPRENGEN als auch ein AUS DEM RAHMEN FALLEN zu hin­ter­fra­gen. Kun­st­sprech: BUBBLEART

Ent­we­der nie­mand ist schuld, oder wir sind es alle — Demut und Bil­dung tut Not.

Klassifikation

<Nr123 BLASENTEE> ist ein Werk aus dem Wer­kraum Rahmenhandlung

Bekanntgabe

Juli 2021 → Wis­sen wo man ste­ht — Pro­log zum Werk Nr123

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Dem unbekannten Freund ein Gruss

Kom­men­tar zum Werk <Nr123 Blasen­tee>, von Wal­ter Studer

Dem guten alten Medi­z­inalkräuter­tee, dem für die Blase, ein Mon­u­ment! Errichtet in ein­fach­ster, ja min­i­mal­is­tis­ch­er und den Kun­st­banau­sen fast pein­lich sim­pler Machart als Maras Werk NR123. Und warum auch nicht, hält doch die altehrwürdi­ge aber heute oft ver­schmähte oder pseu­doe­sotherisch fehlin­ter­pretierte Kräuter­medi­zin nach wie vor, was sie ver­spricht — nicht mehr aber auch nicht weniger. Betra­cht­en und ehren wir also damit dieses ein­fache Pro­dukt, das auf dem Podest platziert und geeignet illu­miniert untere­ins zum „Denkmal“, zum „Denk-mal“ und zum „Denk-mal-wieder-ein-wenig-nach“ mutiert, uns zum Assozi­ieren ani­miert, zum gedanklichen Spazier­gang der Seele und den Geist reinigt und so auf ein­er rein abstrak­ten Ebene dur­chaus ein Zusam­men­hang zur Funk­tion des Blasen­tees erbrin­gen kann.

Gut gelun­gen dieses Oeu­vre. Allein schon weil Maras Pro­log sich dies­mal als eine annäh­ernd brisante und geheime Mis­chung aus Gedankengän­gen poli­tis­ch­er Natur und Wis­senschaft, per­sön­lich­er Überzeu­gung und altem und neu Erlebtem und was nicht noch allem präsen­tiert. Bei mir hat sich der Ein­druck fest­ge­set­zt, seine Gedanken kämen zwar wohl mod­eriert daher, galop­pierten aber den­noch in alle Rich­tun­gen, auch in jene Bere­iche die möglicher­weise nicht betreten wer­den sollten.

Es ist nicht zu verken­nen: Es geht um Liebe. Es geht um Fre­und­schaft, um einen Fre­und , der in ein­er für den Kunst­werk­er wichti­gen Überzeu­gung offen­bar diver­gen­ter Mei­n­ung ist und ihm dies in aller Deut­lichkeit und getrieben von der Dynamik des Moments und wohl auch der kör­per­lichen Präsenz unseres Kunst­werk­ers in absoluter Form beib­rin­gen musste.
Wohl wahr, wenn Mara einen jen­er ewig Recht reklamieren­den qual­itätsvollen Kalen­der­sprüche zitiert indem er in Grosss­chrift erin­nert dass Fre­und­schaft nichts für Angsthasen ist. Wie inter­pre­ta­tions­bedürftig solche Wahrheit­en sind, weiss er natür­lich selb­st und auch wenn der Spruch richtig ist, muss man beifügen…UND SIE MUSS DIE FREIHEIT DES FREUNDES SCHÜTZEN. Will sagen Fre­unde soll­ten nicht zum anders Denken gedrän­gelt werden.

In diesem Sinne wird, so hoffe ich, diese Tren­nung nicht ewig halten.

Alles in Allem ein typ­is­ches Werk Maras: Ein humor­volles und bedenkenswertes Kunst­werk dieses N123 und der Pro­log trotz intellek­tueller Form ein Vulkan an Menschlichkeit.

Wal­ter Stud­er, Juli 2021

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One thought on “Nr123 BLASENTEE

  1. Ach, wie wahr. Sehr gut und kri­tisch geschrieben. Ja, echte Fre­und­schaft ist wirk­lich nichts für Angsthasen.
    Max­i­male Unord­nung in einem Leben ohne Gebrauch­san­leitung, das hat was. Ehrlichkeit währt am läng­sten.. und ja, grün­er Tee klärt den Geist.
    Und ja, tak­t­los denken um richtig zu denken stimmt auch (meis­tens)!


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