Nr71 Die roten Dichter

Dich­tungs-Ringe Natur-Kautschuk rot (Ein­machgläs­er),
Holz­sock­el schwarz, 27x21x6cm (LxBxH), © mara 2015
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Inspiration

1892 meldet der Chemik­er Rudolf Rem­pel einen Spezial­kochtopf zum Patent an, dazu Einmach­gläser mit einem roten Dichter aus Kautschuk. Dieser gleicher­massen sim­ple wie geniale ROTE DICHTER wirkt als Überdruck­ventil und macht es for­t­an möglich, Lebens­mittel durch Erhitzen und Luft­abschluss zu konser­vieren und für län­gere Zeit halt­bar zu machen.

1903 schafft der rus­sis­che Maler Wass­i­ly Kandin­sky eines sein­er frühen Werke mit dem Titel DER ROTE DICHTER, welch­es in der Folge lange Zeit als ver­schollen gilt. (Aus urheber­rechtlichen Grün­den darf ich das Werk lei­der nicht abbilden, Sie find­en es aber unter diesem Link)

1998 taucht das obge­nan­nte Werk — nach­dem es die Kriegs­wirren (entartete Kun­st) in einem Jute­sack in ein­er Garten­laube über­standen hat — in Berlin wieder auf und wird von einem Schweiz­er Samm­ler für 300’000 DM ersteigert.

2015 schafft Mara von kun­st & wach mit seinem Dezember­werk <Nr71 Die roten Dichter> eine far­blich oppor­tune, sprach­lich und for­mal höchst assozia­tive Syn­these zwis­chen dem ROTEN DICHTER Rem­pels einer­seits und dem ROTEN DICHTER des Non­konfor­misten Kandin­sky anderseits.

Rah­men­hand­lung, what else?

Das Werk

<Nr71 Die roten Dichter> ist eine linguis­tisch eigen­willige Inter­preta­tion des Hoch­deutschen, hier des Kautschuk-Dichters als funk­tionale Design-Ikone. Kun­st­sprech: RUBBER-ART.

Zum Werkkom­men­tar

Klassifikation

<Nr71 Die roten Dichter> ist ein Werk aus dem Wer­kraum Deu­tung.

Bekanntgabe

Dez 2015 → Vom Ein­mach­glas über Kandin­sky zu kun­st & wach — Pro­log zum Werk <Nr71 Die roten Dichter>

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Schlubber und Sein

Kommentar zum Werk Nr71

von Wal­ter Studer

(stu) Was­sili Kandin­sky, 1866 in Moskau geboren und 1944 in Frankre­ich gestor­ben, war ein in sein­er Wirkung oft immer noch unter­schätztes Urgestein der Mod­erne, ja ein echter Nestor der abstrak­ten Kun­st, auch wenn er wahrschein­lich doch nicht Autor des ersten recht eigentlich als abstrakt zu beze­ich­nen­den Werkes der Kun­st­geschichte gel­ten kann — das Datum des betr­e­f­fend­en Werkes scheint zurück­datiert wor­den zu sein.

Kandin­sky stammte aus dem gehobe­nen rus­sis­chen Bürg­er­tums der Grün­der­jahre und des diesem fol­gen­den Fin De Siè­cle. Demgemäss studierte er auf Wun­sch des Vaters Jura, übte dieses Meti­er allerd­ings nur wenige Jahre aus um sich dann ganz der ihn seit früh­ster Jugend beschäfti­gen­den Malerei zuzuwen­den. Beze­ich­nend für den nach fast schaman­is­tis­ch­er Manier alles in sich aufnehmenden und dieses all sogle­ich ver­wan­del­nden glühen­den Kün­stler ist, dass er als Lehrer immer gle­ichzeit­ig ewig Ler­nen­der blieb. Er begann in sein­er Jugend zunächst zeit­genös­sisch spätim­pres­sion­is­tisch und spätim­pres­sion­is­tisch-sym­bol­is­tisch zu arbeit­en — was ihn auch mit der Roman­tik verbindet — und gelangte, da er sich farbthe­o­retisch höch­ster Diszi­plin ver­schrieben hat­te und die Bedeu­tung und Sym­bo­l­ik der Farbe auszu­loten vers­essen war, in eine Art Expres­sion­is­mus, der nicht zulet­zt mit der per­sön­lichen Begeg­nung mit Rudolf Stein­er und dessen Form der Anthro­poso­phie zu tun hat­te, wiewohl Kandin­sky und seine Malerei kaum je über die Anthro­poso­phie sinnhaft zu ver­ste­hen wäre. Der starke Motor dieses zwis­chen den ide­ol­o­gisch insta­bilen und von zunehmen­dem Faschis­mus aus­ge­höl­ten und schliesslich kriegs­geschüt­tel­ten Wel­ten Rus­s­lands, Deutsch­lands, Frankre­ichs und Amerikas leben­den Kün­stlers, dem zeitweili­gen Bigamis­ten, Grün­dungsmit­glied und später­er Geg­n­er des Blauen Reit­ers und anderen fortschrit­tlichen Kun­stvere­ini­gun­gen, wesentlich­es Mit­glied im Pro­fes­sorenkol­leg des Dessauer Bauhaus­es und kaum beein­druckt von den grossen franzö­sisch zu assozi­ieren­den Kün­stlern wie etwa Picas­so, war schliesslich die ABSTRAKTION, die ihm nicht zulet­zt erlaubte, seine Farb-Besessen­heit, seine an die Renais­sance und den Manieris­mus anklin­gende Manie, die Farbe endgültig gewis­ser­massen magisch und spir­ituell zu durch­drin­gen, in reinst konzen­tri­ert­er Weise malerisch zu leben.

Was hat dies mit dem Kunst­werk­er zu tun? Auf Anhieb beurteilt, über­haupt nichts. Denn Mara, der sein Vergnü­gen und einen Teil sein­er kün­st­lerischen Philoso­phie im neo­dadais­tis­chen Witz des Kalauerns, der von ihm als KUNSTSPRECH beze­ich­neten Meth­ode — die nicht ganz unbe­ab­sichtigt und auch nicht ganz unge­fähr an die total­itär ver­wen­de­ten WORTSCHMELZUNGEN im “1984” von Georg Orwell anbän­delt — hat natür­lich mit Begeis­terung vom Auffind­en eines frühen, also noch nicht abstrak­ten Bild Kandin­skys, dem soge­nan­nten ROTEN DICHTER gele­sen um also gle­ich im Fun­dus seines halbbe­wussten, vom Unbe­wussten gespiese­nen ASSOZIATION- POOLS den so paten­ten und alt­modisch gewor­de­nen anderen ROTEN DICHTER her­vorzuza­ubern und dem aufre­gen­den Fund eines bish­er unbekan­nten Früh­w­erk Was­sili Kandin­skys in ver­schmitzter Verehrung anzu­biedern. Dieses irgend­wie fast unanständig wirk­enden schlaffe und dank seines Mate­ri­als, des sattsam bekan­nten ziegel­staub-far­bigen Gum­mis, mit ein­fachem Ziehen an der dafür vorge­se­henen Zunge von der Funk­tion eines Ubert­druck­ven­tils zu erlösende SCHLUBBER, diese so nach­haltige Erfind­ung aus eben­falls der Zeit des Kandin­skys, aber auch Sieg­mund Freuds (was hätte er hier nicht alles hinzuzu­vaginieren ver­mocht!), des noch jun­gen Albert Ein­steins (der Gum­mir­ing eignet sich im Übri­gen her­vor­ra­gend, die Rel­a­tiv­ität­s­the­o­rie und die damit ver­bun­dene Krüm­mung des Licht­es und des Kos­mos etc. ein­mal mehr hal­brichtig darzustellen) und nicht zulet­zt die Zeit des aufk­om­menden DADAISMUS, der wiederum den KUNSTSPRECH unseres KUNSTWERKERS basiert hat und ihn offen­sichtlich noch immer befeuert.

Lassen wir also den wieder­aufge­taucht­en ROTEN DICHTER von Was­sili Kandin­sky im Hüh­n­er­stall der Kunst­welt, vor allem der des Kun­sthandels wie ein Fuchs (auch er ein Rot­er!) für Aufre­gung sor­gen und küm­mern wir uns um unser Vergnü­gen — genau­so wie der kunst­werk­ende Spitzbube und Psy­chi­ater dies mit dem aktuellen Werk Nr71 getan hat. Gewiss! Wir kön­nen uns ruhig noch weit­er mit Aus­deu­tung beschäfti­gen. Jedoch gibt es da eine gefährliche Gren­ze, die schnell über­schrit­ten ist: wenn ich mir zum Beispiel län­gere Zeit das schlub­berig schleimhautrötliche anthro­po­mor­phe und in die Ausle­ge­ord­nung von Frischfleisch gestylte Gebilde DIE ROTEN DICHTER auf mein Gemüt wirken lasse, kommt mir vieles hoch, was ich lieber unten gelassen hätte. Nun gut! So sind wir halt alle Opfer unseres Innen­lebens — aber immer­hin: wir haben wenig­stens ein solch­es und damit ein wenig die VORSTELLUNG von SEIN.

Dez 2015, W. Stud­er

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