Zurück in die Zukunft der Blau-Wahrnehmung

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr65 Schweigespirale

Nr65 Schweige­s­pi­rale

(stu) Eine selt­sam ele­gant dahin drehende Stachel­draht-Spi­rale, die wie ein Mod­ell im Maßstab 1:100 eines Tor­na­dos allein schon daher Ungutes ahnen lässt und die auf dem üblichen Podest des Kunst­werk­ers je nach Lichte­in­fall merk­würdi­ge und unheimelige Schat­ten wirft, die uns dif­fus an schreck­liche nur schlecht ver­drängte Bilder mah­nt, und die uns trotz ihrer tänz­erische Dynamik wegen ihrer Stacheln zurückschreck­en lässt.

Es ist dies die fast naive und auf jeden Fall unmit­tel­bar authen­tisch, qua­si der Jugend­kul­tur gle­ich, wirk­ende Umset­zung der in wis­senschaftlichen Arbeit von E. Noelle-Neu­mann definierten SCHWEIGESPIRALE, die eben­so exakt und men­schlich und kün­st­lerisch bess­er, näm­lich in gefühlstiefer Wahrnehmung im Werk von Hein­rich Mann “der Unter­tan” und in Alber­to Moravias “Il con­formista”, in nicht zu über­bi­etender Dif­feren­ziertheit und in ein­er kaum zu ignori­eren­den ewigen Aktu­al­ität längst zum lit­er­arischen Denkmal gewor­den ist.

Dem Kunst­werk­er ist dieser Stoff, dieses Urphänomen in ein­er ihm nur schein­bar para­dox­al fröh­liche Gelassen­heit aus­lösenden Inten­sität stetig nahe. Es gibt nichts, an dem er diese Lei­digkeit nicht ermessen würde. Aber sein­er unmit­tel­baren Erken­nt­nis dieses die Men­schheit seit jeher mit-definieren­den Wesen­szuges fol­gt die Weisheit des fro­hen Mutes. Diese seine, jeglich­er Depres­sion ferne Sicht ist das Fun­da­ment aller sein­er Werke und wohl auch seines ärztlichen Wirkens. Beze­ich­nen­der­weise erin­nert die Stachel­spi­rale an die DORNENKRONE und es scheint, als hätte Mara diese Kro­ne auseinan­derge­zo­gen dargestellt, um deren Tat­säch­lichkeit in jed­er ihrer Win­dun­gen, vom Kleinen ins Unendliche und Unbes­timmte, qua­si wis­senschaftlich aufgegliedert darzubieten.

Kom­men wir nun zu dieser SCHWEIGESPIRALE, kom­men wir zu Maxli, der zusam­men mit dem etwas älteren Vreneli, den Him­mel betra­chtet. Vreneli behauptet, der Him­mel sei rosa. Maxli, dem die Farbe des som­mer­lichen und wolken­losen Nach­mit­tagshim­mel dur­chaus als blau vorkommt, beeilt sich aber nach kurzem Nach­denken zu bestäti­gen, was die “Chefin” sagt: Ja, der Him­mel ist rosa! Was auf dieser Ebene noch als schlaue Ver­mei­dung von Sank­tion erscheint, wird spätestens bei Max bere­its so weit verin­ner­licht sein, dass es ihm selb­st nicht mehr bewusst ist. Max ist denn auch jen­er ide­ale Gehor­sam­sneu­rotik­er, der sich die meiste Zeit als bedacht und weit­sichtig wahrn­immt, der von sich glaubt, ein ide­al­er Bürg­er zu sein und der in sein­er Pflichter­fül­lung als Untergeben­er oder als Vorge­set­zter bis zur offe­nen und kom­pen­satorisch narzis­stis­chen Unmen­schlichkeit radikal sein wird. Max und sein weib­lich­es Gegen­stück, das es selb­stver­ständlich auch gibt, sind der Stoff aus dem das Podest der Macht beste­ht, und es ist völ­lig egal ob dieses Mon­strum wirtschaftlich­er, mil­itärisch­er, poli­tisch, religiös-kon­fes­sioneller, eso­ter­isch­er, wis­senschaftlich­er, part­ner­schaftlich­er, sex­ueller usw. Aus­prä­gung ist, die Max­en dieser Welt sind immer gerne und übereifrig dabei, sich für die Macht in die Brust oder in den Waf­fen­rock zu wer­fen, um gnaden­los niederzu­machen, was wider­borstig genug ist, sie möglicher­weise daran zu erin­nern, dass auch in ihnen selb­st noch immer jen­er ver­schüchterte Maxli gefan­genge­set­zt verharrt.

Kann Max geheilt wer­den,? Wird Max dere­inst zu einem, der die SCHWEIGESPIRALE zu ver­lassen im Stande ist, bevor er jeman­des Unheil lau­thals als Heil zu deklar­i­eren gezwun­gen wird oder gar gerne dazu bere­it ist? Wird Max, wer­den wir uns QUERDENKEND vom aufok­troyierten Vol­lzugs­ge­hil­fen-Dasein FREIDENKEN — und dies auf Dauer? Was fast unmöglich scheint, ist eigentlich fast ein Kinder­spiel: Wer­den wir Kinder und starten wir noch ein­mal. Das bedeutet nicht kollek­tive Rein­fan­til­isierung, son­dern die Wiederge­burt der reinen BLAU-WAHRNEHMUNG. Wagen wir das Wag­nis des Denkens und Füh­lens ausser­halb jeglich­er Vorschriften auf dem Spielplatz jenes Lebens, das unseres ist, und begin­nen wir endlich statt zu schweigen zu reden. Nehmen wir in Kauf auch mal das Falsche, das Pein­liche und das Unkluge her­aus­brechen zu lassen. Man kann sich in der Bewe­gung des Redens verän­dern, erneuern und klüger wer­den — und, ja, ist Ihnen nicht auch schon aufge­fall­en, dass jene stillen Wass­er, die so über­aus tief grün­den sollen, zum über­wiegen­den Teil lang­weilige Flach­wass­er sind?

Sep 2015, W. Stud­er

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