Götterdämmerung

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr30 Klimax

Nr30 Kli­max

(stu) Da ist dieser schöne Holzkan­tel aus best­ge­lagertem und für Schnitzerei best­ge­masertem Lin­den­holz mit einem Stück ste­hen­ge­lassen­er Baum­rinde, als Garant für Echtheit und als sen­ti­men­taler Akzent des Heimeli­gen auf Teufel komm raus. Denn in der Tat ist dieser hochgestellte Kan­tel durch das Arrange­ment von adret­ten und der weis­sen Rasse zuge­höri­gen Figürchen aus dem apoli­tis­chen Mod­ell­baube­darf zur poli­tisch und über­poli­tisch böse ein­fahren­den Instal­la­tion gepimpt.

Auf der ste­hen­den Schmal­seite dieses Holzes begin­nt ganz plöt­zlich aus dem Off sich hek­to­plas­mierend die Men­schen­menge, die sich nach oben zur Spitze und dann gle­ich darüber hin­aus auf diesem dann bequem abwärts geneigte Cat­walk des Lebens fort­be­wegt – noch ohne allerd­ings den dro­hen­den Abgrund wahrgenom­men zu haben. Dieser die Men­schheit bedeu­tende Pulk von gelasse­nen Leutchen, schauen über­all hin nur nicht auf den nach der Kli­max offen­sichtlichen und unumgänglichen Abgrund. Wir, die Betra­ch­t­en­den, die wir qua­si aus ein­er extrater­restrischen Loge dieses son­ntäglich anmu­tende far­bige Menetekel und Memen­to Mori in der Dimen­sion ein­er Ameisen­strasse begutacht­en, wis­sen es natür­lich sofort bess­er, ja viel viel bess­er: die ganze Men­schheit sofort Stopp! Keinen Schritt weit­er! Jed­er Fortschritt zieht unweiger­lich den tödlichen Absturz nach sich! Und wie gesagt, als Besser­wiss­er haben wir ja auch immer recht. Und wie recht wir haben, ver­dammt noch mal!

Natür­lich gibt es da noch einige Fra­gen und Prob­leme, die wir irgend­wie nicht out­sourcen kön­nen, weil dafür noch immer kein wie auch immer geart­etes Facilitymanagement
bere­it­ste­ht, ger­ade diese Mark­tlücke nützen zu wollen. Vor allem stellt sich das Prob­lem, wie bzw. mit welch­er Energie man den Bewe­gungsvek­tor ein­er über­aus mächti­gen und stetig wach­senden trä­gen Masse auf Null set­zen kann.

Wer jet­zt von Denken, von Demokratie, von Ein­sicht, von Erziehung und so weit­er redet, hat ganz und gar meine Sym­pa­thie – allerd­ings bin ich ein hoff­nungs­los opti­mistis­ch­er Trotza­lle­dem-Men­schen­fre­und, der eigentlich weiss, dass nur sehr junge und mit der men­schlichen Natur noch nicht ver­traute Men­schen solch hoff­nungsvolle Illu­sio­nen und Utopi­en zu real­isieren für möglich halten.

Dieses gestal­tete Stück Baum ist, wie es die alten alt­nordis­chen Kul­turen gemäss ihrem Mythos gese­hen hät­ten, nur noch ein kläglich­er Rest des ein­st­mals die Welt und den Kos­mos darstel­len­den gigan­tis­chen Lebens-Baumes, der heili­gen Yggdrasil, in dessen Geäst der Men­sch mit seinen Göt­tern lebte. Der alt­nordis­che Mythos kan­nte auch schon jene zukün­ftige fast alles ver­nich­t­ende Katas­tro­phe, vor der auch die Offen­barung des Johannes warnt. Sie nan­nten dieses Ereig­nis, nach dem rein gar nichts mehr so sein würde, wie vorher, Götterdämmerung.

Der Men­sch war also schon immer ein ver­dammt schlaues Wesen, das sehr präzise über seine ele­mentare Unzulänglichkeit und Blöd­heit Bescheid wusste und diese so grandiose Erken­nt­nis auch noch in vielfältig­stem kün­st­lerischem Aus­druck festzuhal­ten wusste. Was ist zu tun? Gut, gibt es für jede Ver­legen­heit immer irgend einen gescheit-schö­nen und von allem ablenk­enden Sinnspruch. Hier scheint mir eignet sich das lateinis­che „Vita bre­vis ars lon­ga“ auf Deutsch „Das Leben ist kurz, die Kun­st ist lang.“ (zum Werk)

Mai 2015, W. Stud­er

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