Revolution
Aus der Serie «Sprachperlen»
(stu) Im gediegen mit Mattglanz veredelten Goldrahmen und hinter Glas verewigt die tiefgoldgelbe Platte, die mittels unten rechts sorgfältig attackiertem Drehwerklein mit musikalischem Potential zur goldenen Schallplatte erkoren ist, die trotzdem nicht wie üblich rund sondern einem Tafelbildchen gemäss brav rechteckig ausgeformt die eingemessene Rahmenmitte schmückt und somit als eigentlicher Bildgegenstand erkennbar das Rahmenwerk zum Thron erkürt und das mit kitschigschönem Schriftzug in der Mode der Fünfziger zusätzlich zur edlen Trophäe im Retrolook gestylt gestaltet ist. Heintje und Peter Alexander hätten ihre pures Entzücken wohl gleich musikalisch auszudrücken gewusst, aber wir lassen uns jetzt nicht einlullen und lesen was da so herzallerliebst in etwa von unten links nach oben rechts hingeschnörkelt steht.
RAHMENHANDLUNG 4 steht unmissverständlich und ziemlich ernüchternd da und überhaupt ist da gar kein Schutzglas für Edles und das Mittelgeviert ist nicht tiefgolden gefärbt, sondern packpapierig-pavatexig bräunlich sandfarben profanisiert. Und die kleine Musikmaschine, dieser frühe Computer, klimpert beim Drehen wohl auch nicht irgendein nettes Melödiechen aus der rosaroten Marzipanwelt, sondern vermutlich die zwar eigentlich geniale „Elise“ von Beethoven, die als über zweihundertjähriger Gassenhauer jedoch derartig sirupisiert die Gehörgänge verklebt, dass ein gewöhnlicher Tinitus fast als gnädiges Privileg zu begrüssen wäre. Drehen wir also um Gotteswillen nicht an der Minikurbel, denn diese erwiese sich gewissermaßen als Büchsenöffner für die Büchse der Pandora! Oder will uns der verschmitzt gewitzte Kunstwerker an der Nase herum führen, indem das Musikmaschinlein Jimi Hendrix‘ s „Hey Joe“ runterklöppelte, wenn man es nur wagen würde, die Kurbel zu drehen?
Genug der Spekulation! Es geht zwar schon um Musik. Aber eigentlich steht hier die Musik nur als eine der unendlich scheinenden Möglichkeiten, die das menschliche Leben uns bereitstellt. Möglichkeiten, die zu ergreifen wir aufgefordert sind, nach unserem freien Willen zu nutzen oder auch nicht? Können wir wirklich tun und lassen, was uns gefällt? Ist es nicht vielleicht eher so, dass alles was wir vermeintlich nach unserem freien Willen tun, uns tatsächlich gar nicht anders möglich ist zu tun? Ist es uns wirklich möglich? Das ist die Frage, die der Kunstwerker sich und uns immer wieder in neuer Ausprägung und Differenzierung stellt – ohne sie je beantworten zu können. Denn das diesbezüglich stetige Fragen kann uns zwar keineswegs aus dem ewigen Rahmen erlösen, aber es ist oder wäre die einzige Revolution, die unblutig, menschenfreundlich und in sich als Wert echten Erfolg darstellt, denn sie ist nicht allein dem Tun nach sondern auch ein gefühltes Bisschen echt willentlich! In diesem Sinne: AUF BRÜDER UND SCHWESTERN! ZUR SONNE ZUR FREIHEIT….!
Und bitte — drehen Sie doch einfach an der Kurbel, wenn gerade niemand hinsieht! Es wird Ihnen gut tun. (zum Werk)
Mai 2015, W. Studer