Nr91 Kuhbismus

Horn­vieh-Schädel, 50x44x17 cm (LxBxH), © mara 2017
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Inspiration

«Wir wis­sen alle, dass Kun­st nicht Wahrheit ist. Kun­st ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenig­stens die Wahrheit, die wir als Men­schen begreifen können»

- Pablo Picas­so (ein mass­geben­der Begrün­der des Kubismus)

Werk

<Nr91 Kuh­bis­mus> ist ein wei­teres Schau­stück lin­gu­is­tisch eigen­wil­liger Inter­pre­ta­tion des Hoch­deut­schen, eine Tra­vestie über Horn­vieh und Kun­st­be­trieb. Kunst­sprech: COWBISM–ART

Zum Werk­kom­men­tar

Klassifikation

<Nr91 Kuh­bis­mus> ist ein Werk aus dem Werk­raum Deutung

Bekanntgabe

April 2017 → Hornochse! Pro­log zum Werk Nr91
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Der ungelogene Riese

Kommentar zum Werk Nr91

von Wal­ter Studer

(stu) Nach der Über­win­dung des diesjähri­gen Jan­u­ar­loches, das, wie mich dünkt, von beson­ders beängsti­gen­der Tiefe und wund­mäs­sig hässlich klaf­fend­er Mor­pholo­gie war, hat Mara sich, ansatzweise von Früh­lings­düften gestört, von der einen Seite des win­ter­lichen Lagers auf die andere gedreht. Trotz leicht­en Unmutes, der in seinem See­le­nuni­ver­sum der geisti­gen Regen­er­a­tion und Trau­min­sze­nierung dadurch ent­standen war, dass mit grünem Licht­ge­flack­er rhyth­misch auf den Aus­gang hingewiesen wurde, hat sich der Kün­stler und Werk­er und Psy­chi­ater noch nicht aus seinem jugendlich ja buben­haften Basisego und dessen für ihn über­lebenswichti­gen Hara — die See­len­ruhe, das Urver­trauens und die dafür und für das Wach­s­tum der Weisheit unab­d­ing­bar nötige Demut —  her­aus­reis­sen lassen. Ein Zus­tand, wo der Intellekt nicht als messer­schar­fes Instru­ment dessen erscheint, was wir als Wahrheit oder auch — abso­lut fälschlicher­weise übri­gens — als Real­ität benen­nen. Vielmehr ist es im Hara so, dass der Intellekt quan­ti­ta­tiv und qual­i­ta­tiv eben­so stark ist wie im All­t­ags­be­wusst­sein. Allerd­ings ist dieser Intellekt unbe­lastet von der Logik des All­t­ags und kann als eine Art dicht­es Aro­ma, als eine mul­ti­di­men­sion­ale und unfassliche Wesen­heit beschrieben wer­den. Eine Atmo­sphäre, die ver­gle­ich­bar ist dem anfänglichen Chaos der Gen­e­sis, ver­gle­ich­bar den gold­e­nen und braunen Mal­grün­den byzan­ti­nisch-ortho­dox­er Iko­nen­malerei, aus denen der andächtige Maler mit hellem und dün­nem Pin­sel­strich in eigentlich litur­gis­ch­er Manier die Wirk­lichkeit sucht und als Abbild der WAHRHEIT entste­hen lässt, das den­noch, gemessen an der WAHRHEIT, sich als  eine LÜGE beweist — auch wenn diese LÜGE noch so weise und wahr ist.

Das dem Werk Nr91 KUHBISMUS vor­angestellte Zitat von Pablo Picas­so will in ein­fach­er, etwas zu ein­fach­er und deshalb fälschlicher­weise zur Bin­sen­wahrheit und zur triv­ialen Banal­ität tendieren­den For­mulierung auf genau dieses let­ztlich unbe­grei­fliche Wun­der des Kün­st­lerischen hin­weisen. Wie tief die kün­st­lerische Inten­tion Picas­sos im Hin­blick auf dieses Wech­sel­spiel von LÜGE und WAHRHEIT ist, bewies er mit sein­er immer wieder inno­v­a­tiv­en — denken wir etwa an den Kubis­mus, den Mara mit sein­er Bildlichkeit sprach­lich ver­ball­hornte — und let­ztlich ein­ma­li­gen Kun­st und deren Raum. Es ist dies genau jen­er hand­feste und doch ewig abstrak­te und also ewig para­doxe Raum, wo nach Friedrich Schiller der Men­sch ein spie­len­der, ein HOMO LUDENS ist, der deshalb auch der Sünde, des Ver­brechens und des üblen Denkens nicht zugänglich ist, und der somit den eigentlichen Men­schen, den MORALISCHEN MENSCHEN darstelle, und — immer noch nach Schiller — mit seinem Wesen des selb­stvergesse­nen Kindes iden­tisch mit dem KÜNSTLERISCHEN MENSCHEN zu ver­ste­hen und zu behan­deln sei. Diesen auch heute noch mehr als nur bedenkenswerten Ansatz, den Schiller vor allem in seinen soge­nan­nten ÄSTHETISCHEN BRIEFEN dar­legt, ist nicht nur die Basis der Wall­dorf-Päd­a­gogik und der Stein­er­schule, wo eben das kün­st­lerische als ein Haupt­strang der wer­den­den Per­sön­lichkeit erkan­nt wurde. Auch die zwar vielgeschmäht­en Staatss­chulen der Schweiz, Öster­re­ichs und Deutsch­lands, die unter dem Druck des Lib­er­al­is­mus — der selb­stver­ständlich andere und oft ver­meintliche Qual­itäten gefördert sehen möchte — sich nur schw­er dem Sog der als allein selig machen­den finanzträchti­gen Aus­bil­dungszie­len entziehen kön­nen, sind deut­lich bess­er als ihr oft etwas staubiger Ruf und längst gilt die Schiller­sche Prämisse auch dort, näm­lich bei den vie­len Lehrerin­nen und Lehrern, deren Arbeit­skraft ten­den­ziell aus­ge­beutet und die zuse­hends an Sozial­pres­tige verlieren.

Zurück zu Mara, der sich eben wieder auf die andere Seite gedreht hat, dabei halb offe­nen Auges möglicher­weise die Entität sein­er West­ern­stiefel in den genan­nten Raum ein­ge­lassen hat und plöt­zlich nach alter Schaman­is­te­nart den bemerkenswert ursprünglichen und roman­tis­chen gehörn­ten Schädel ein­er Kuh in den weit­en Ebe­nen des ural­ten weis­sen Sandes der Sono­ra oder ein­er anderen die See­len heim­suchen­den Wüste erschaf­fen hat: Diese LÜGE die mit ihren auf Hochglanz gebracht­en Hörn­ern und der unendlich wirk­enden kleinen weis­sen Fläche des Podestes UNGELOGEN zur stolz präsen­tierten WAHRHEIT des in den Tag aufwachen­den Mara gewor­den ist — dem gele­gentlichen RIESEN sein­er TRÄUME.

April 2017, W. Stu­der

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