Serra und Zeitmaschine: Ein Schlüsselfall

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr53 Freiheit - Sicherheit

Nr53 Frei­heit — Sicherheit

(stu) Dort wo im Sur­sel­va die Rus­sein von Nor­den zu Tale fällt um dann in der Soh­le brav in den noch jun­gen Vor­der­rhein ein­zu­flies­sen als wär nichts gesche­hen, wird bis­wei­len mit Erfolg nach aus­ge­wa­sche­nem Gold gesucht. Die Gold­su­cher schwen­ken in gedul­di­gem Ritu­al ihre Sie­be zwi­schen eini­gen Stei­nen, die stel­len­wei­se wie zufäl­lig geschich­tet erschei­nen — ein Phä­no­men, das ja in die­ser wil­den Gegend durch­aus bekannt ist. Was soll­te im übri­gen, fragt sich viel­leicht der Gold­jä­ger in einer Ver­schnauf­pau­se den Schweiss von der Stir­ne wischend, eine Mau­er quer über den an die­ser Stel­le in der Regel als Bach, wenn nicht Bäch­lein, ziel­los dahin­plau­dern­dern Vor­der­rhein?

Und was soll­te eine Mau­er mit­ten in der All­mend von Sum­vitg, knapp 2 Kilo­me­ter vor Disen­tis, mit sei­nem dem frän­ki­schen Hei­li­gen Mar­tin gewid­me­ten Klo­ster, mit­ten im Kan­ton Grau­bün­den und der Schweiz weit­ab jeg­li­cher Gren­zen und Aus­ser­halb jeg­li­cher bri­san­ter Besitz­ver­hält­nis­se? Nie­mand und Nichts wäre mit einer Mau­er an die­ser Stel­le ein- oder aus­zu­schlies­sen, die poli­ti­sche und die topo­gra­fi­sche Ein­heit der Gegend ist nicht antast­bar und dem­zu­fol­ge sind die schein­ba­ren Reste einer Trocken­mau­er oder eines Stein­walls eben doch ein Spiel der bewusst­lo­sen Natur­ge­wal­ten und wenn der Gold­su­cher nicht längst schon wie­der mit Sieb­schwen­ken wei­ter­mach­te, könn­te er sich eini­ge tief­schür­fen­de Gedan­ken zu Phi­lo­so­phie des Schlos­ses, des Schlies­sens und dem mensch­li­chen Wahn stets irgend­wen oder irgend­je­man­den aus‑, weg‑, ab- oder ein­zu­schlies­sen zu machen. Weil ja die Vor­rich­tung in der Funk­ti­on biva­lent-polar und durch wenig und jeder­zeit auf­zu­brin­gen­der Initia­ti­ons­en­er­gie ja einem Pen­del gleich das Schlies­sen zum Öff­nen über­führt wer­den kann, solls auch gleich wie­der zurück und das Gan­ze dann bit­te auf ewig und in Licht­ge­schwin­dig­keit zum dyna­mi­schen Stac­ca­to einer phi­lo­so­phi­schen Deus ex machi­na auf­heu­len las­send. Die­se Maschi­ne gerie­te dem Zau­ber­lehr­ling zum wun­der­sinn­lo­sen Hei­sen­berg­schen Unschär­fe rela­ti­ven Dau­er-Oszil­la­tor, der einer nicht­exi­sten­te Wesen­heit zwi­schen Frei­heit und Sicher­heit ver­pflich­tet blie­be. Der Gold­su­cher — in die­sem Fal­le dem alchi­mi­sti­schen Gold­ma­cher näher, als der­je­ni­ge ihm — hät­te den über­ra­schen­den Vor­teil das Unver­ein­ba­re in Ver­ei­ni­gung unter die gei­sti­ge Lupe neh­men zu können.

Was lern­ten er und wir mit ihm dar­aus? Nichts und Alles! Nichts, weil er die nutz­los kopf­zer­bre­chen­de Maschi­ne als­bald in der tief­sten Tie­fe der Rhein­schlucht hät­te zer­schel­len las­sen. Alles, weil er die Maschi­ne, sobald er erkannt hät­te, was sie doch eigent­lich ist, bestie­gen hät­te und mit ihr die Ver­gan­gen­heit und die Zukunft berei­ste — ohne dann halt je wider in der Gegen­wart ankom­men zu können.

Ja, der Kunst­wer­ker hat schon recht. Es gibt kei­ne freie Sicher­heit und auch kei­ne siche­re Frei­heit. Aber jeder Ver­such, Frei­heit siche­rer und Sicher­heit frei­er zu gestal­ten, darf als men­schen­wür­di­ger Pro­zess ins Auge gefasst und als Annä­he­rung — nicht als Uto­pie — in das Tun ein­be­zo­gen werden.

Der Gold­su­cher im Sur­sel­va übri­gens hat sich natür­lich geirrt — Gold­su­cher irren ohne­hin immer. Die bewuss­ten Stei­ne sind in der Tat die Reste einer früh­mit­tel­al­ter­li­chen SERRA, einer Land­wehr, Bar­rie­re und Gren­ze zwi­schen der Rae­tia Pri­ma im Osten und dem Gebiet im Westen, in dem erst spä­ter ein Klo­ster zu Stan­de kam. Wobei pikan­ter­wei­se bei­de Gebie­te seit dem 5. Jahr­hun­dert Chlod­wig dem mero­win­gi­schen König der Fran­ken unter­stan­den. Chlod­wig, des­sen erste Frau im Harem ihn zum Chri­sten­tum über­re­den konn­te, fand wohl aus Grün­den der bes­se­ren Kon­trol­le, der Admi­ni­stra­ti­on und weil es ihm gefiel, ein Ekel­pa­ket zu sein, dass sei­ne chur­rä­ti­schen Unter­ta­nen in den Gebie­ten jen­seits der SERRA nichts zu suchen hät­ten. War die­ses nun klug, war Chlod­wig, der übri­gens auch als Christ trotz Pro­test sei­tens sei­ner Favo­ri­tin die Viel­wei­be­rei bei­be­hielt, über­haupt klug? Wir wis­sen es nicht. Aber sein Leben war weder sicher noch frei. Es war halt ein Leben wie jedes ande­re auch.

Letz­te Bemer­kung: ist Ihnen bei der Betrach­tung der Schloss-Skulp­tur von Mara, die ja nur in ihrem exklu­si­ven Stand­ort auf dem uns bestens bekann­ten Sockel­ge­viert über­haupt als Kunst­werk akzen­tu­iert wird, wie Trüm­mer einer Zeit­ma­schi­ne aus­se­hen und dass der klei­ne, so dienst­fer­tig bereit­lie­gen­de Schlüs­sel gar nicht zum Schloss passt? Kann der Kunst­wer­ker womög­lich das Schloss gar nicht schlies­sen oder gar nicht öff­nen wol­len? Ist der Kunst­wer­ker und Psych­ia­ter ein Schlüs­sel­kind und sich selbst ein Schlüs­sel­fall? Und was wol­len denn eigent­lich wir selbst?

W. Stu­der

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