Wer geht mit wem?

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr54 Smartphone

Nr54 Smart­phone

(stu) Von zwei Schüssen getrof­fen kon­nte sich der Fremde im unwegsamen Gelände des Gebirges vor seinen Ver­fol­gern nur sehr knapp hin­ter einem der tausend Felsen ver­steck­en — nur um nach weni­gen Tagen des Ver­har­rens an seinen Wun­den zu ster­ben. Als er, der wahrschein­lich ein Agent aus dem Süden war, endlich gefun­den wurde, war seine Leiche ein trau­riger Anblick und die zuständi­gen Behör­den und ihr Wis­senschafts­di­enst sichteten die Reste sein­er Klei­dung und die weni­gen Uten­silien, die er in ein­er Art Män­ner­tasche mit sich führte. Nein, ein Smart­phone war nicht dabei, aber der vor rund 7000 Jahren im Bren­nerge­bi­et kläglich Verblich­ene, als Ötzi bekan­nte, hat­te eine Schnur mit etlichen in unregelmäs­si­gen Abstän­den eingear­beit­eten Knoten bei sich — ein Itin­er­ar also, dem die wesentlichen Wegstreck­en der unter­nomme­nen Reise abzuleit­en und mit dem Winkel und Gestirne anzu­peilen waren.

Ein Zeit­sprung hin­auf ins frühe 17. Jahrhun­dert. Es tre­f­fen sich einige Tages­reisen vor dem fer­nen Samarkand, dem Knoten­punkt des fer­nöstlichen Han­dels, ein kab­bal­is­tisch hochgelehrter Jude aus dem Süden Frankre­ichs, ein from­mer christlich­er Han­delsh­err der alten Kon­fes­sion aus Pom­mern und ein junger eifriger Sufi aus Bag­dad mohammedanis­chen Beken­nt­niss­es in einem Karawa­nenserail zur Über­nach­tung. Alle drei waren klug und deshalb fern ihrer Heimat als Händler und Leben­sreisende unter­wegs. In Europa näm­lich tobte der mörderische Glauben­skrieg zwis­chen den alten und neuen Chris­ten auf unab­se­hbare Zeit und in Bag­dad strit­ten sich die Anhänger Mohammeds eben­so bru­tal und aus­dauernd um den richti­gen Islam und dessen ober­stem Vertreter.

Die drei klu­gen Män­ner kamen nach dem Ver­sor­gen der Tiere und dem dem Essen ins The­ol­o­gis­che Gespräch und, da sie wirk­lich klug und auch noch wirk­lich gebildet waren, erkan­nten sie sich im einen gemein­samen Gott und sie dank­ten ihrem gemein­samen Stam­m­vater Abra­ham für die Gnade an sein­er Gottes-Erken­nt­nis teil­haftig gewor­den zu sein. Schliesslich, bevor sie sich schlafen legten, nahm jed­er einen eher kleinen Gegen­stand von rechteck­iger Form zur Hand und begann sich — mit dem Kopf auf die Brust gesenkt — darin zu ver­tiefen. Nein, es waren dies keine Smart­phones. Es waren Itin­er­arien der geisti­gen Erbau­ung, die man VADEMECUM, “geh mit mir” nan­nte. Der Kab­bal­ist las über die zehn Sephi­rot des Adam Kad­mon, der Christ und ehe­ma­lige Kloster­schüler las Worte von Augusti­nus und Thomas von Aquin und der lyrisch bewan­derte Sufi las in den soge­nan­nten Agrafas, ein­er Samm­lung der vor allem im Islam beliebten ver­streuten Jesu-Worte — was übri­gens kaum ein Christ weiss.

Zeit­sprung in die Gegen­wart: In ein­er leer­ste­hen­den denkmalgeschützten Kirche irgend­wo in Zen­traleu­ropa hat man ein kleine Mall ein­gerichtet und nach oben, die Gewöl­bekap­pen raf­finiert nutzend, einige Lofts der gehoben­sten Preisklasse einge­baut. Alle Geschäfte laufen Miusag geschmiert bestens und die Leute sitzen und ste­hen und gehen und ren­nen teil­weise sog­ar mit dem Kopf auf die Brust gesenkt durch den ehe­ma­li­gen Sakral­bau, sich kaum um etwas anderes küm­mernd als um das schwach bläulich leuch­t­en­den rechteck­i­gen Dings in das sie hine­in­star­ren- ver­dammt zur Schmerztablette und zur Muskelverkürzung und end­los zu Dien­sten dem süchtig gewor­de­nen, ewig unbe­friedigten, nim­m­er­sat­ten hedo­nis­tis­chen kle­in­grossen Selb­st. Ja, hier han­delt es sich um Smart­phones, die man eben­falls als VADEMECUM beze­ich­nen kann — allerd­ings ist es das Smart­phone, das uns mit­tler­weile befiehlt: GEH MIT MIR! Das Kom­man­do hat unbe­d­ingt das Smart­phone, das uns zwingt auf Gedeih und Verderb den ungewis­sen Weg des grossen Popanzen, der gigan­tisch aufge­bläht­en leeren Blase, zu gehen.

Vielle­icht bleibt uns nur noch die Hoff­nung, dass wenn wir dann, gezo­gen am Ring durch die Nase bzw. am Kabel des grossen Brud­ers in unserem dafür ein­gerichteten Steck­er, der Schnittstelle unser­er Exis­tenz, den dün­sti­gen Blut­geruch des Schlachthaus­es nicht mehr erken­nen, wir also ohne Denken der Gnade der bewusst­losen Entsorgung teil­haftig wer­den — beim Über­schreiben der Fest­plat­te unser­er Existenz.

Ein beden­klich hüb­sches Werk von Mara, nicht wahr?!

W. Stud­er

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