Fifty Shades of Statistic

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr33 Wachsdum 3

Nr33 Wachs­dum 3

(stu) Schon vor mehr als ei­nem gu­ten Jahrhun­dert, aber spä­tes­tens als Hen­ri Ford das Fliess­band, diese eben­so pro­duk­tive wie mensch­lich grau­same Früh­form des in­dus­tri­el­len Robot­ers, zwecks Steigerung der Stück­zahl und zu­guns­ten ei­nes er­schwing­lich tie­fen Stück­preis­es in der Auto­mo­bil­pro­duk­tion ein­zu­set­zen wusste, kam die bange Frage auf, die wir uns – lei­dens­fä­hig und zweck­schein­hei­lig wie der HOMO AUTOMOBILIS nun ein­mal von Anfang an war – auch heute noch stel­len: wo­hin soll dies noch führen?

Wie viel Auto­mo­bil mit Ausstoss von Abgasen und ex­po­nen­ti­ell an­stei­gen­dem Kon­sum von Ressourcen kann sich das Raum­schiff Erde, die­ses im­mer wie­der als voll ge­wähnte Boot, denn noch leis­ten? Wie kann ein markt- und fi­nanz­li­be­ra­les Gemein­we­sen, der mo­derne Staat also, der neuen gross und grös­ser wer­den­den ra­dia­len Mobil­ität die spe­zi­fi­sche Infra­struk­tur be­reit­stel­len, ohne nicht in zu­neh­mend ab­seh­ba­re­rer Zeit ei­nen räum­li­chen und ma­te­ri­el­len Kol­laps in ei­ner to­ta­len und un­um­kehr­ba­ren Ver­mas­sung zu erleiden?

Bis an­hin re­agiert der zwar zur Ver­nun­ft fä­hige Men­sch in bes­tens be­kann­ter Manier mit Ver­drän­gung. Diese an sich gar nicht mal so schlechte Form, mit dem Schreck­en um­zu­ge­hen – zum Beispiel mit dem Hor­ror des un­ab­än­der­li­chen Todes, vor­rab na­tür­lich dem des ei­ge­nen Ster­bens – greift aber nicht im­mer. Dann näm­lich, wenn Gefahren ab­ge­wen­det wer­den könn­ten. Es stellt sich die Frage, ob der Wach­s­tum­swahn noch heil­bar, ob dem VERMASSUNGSGAU noch vor­zu­beu­gen ist?

Im Falle des Auto­mo­bils und der zu­ge­hö­ri­gen Mobil­ität ist es merk­wür­di­ger­weise nicht al­leine in un­se­ren Lande durch­aus üb­lich und mög­lich, ent­ge­gen auch der hand- und kopf­füs­sigs­ten Sta­tis­tiken, ganz ein­fach das Gegen­teil zu be­haup­ten und sich zu Geis­tes­blitzen hin­reis­sen und hoch­schau­keln zu las­sen, so wie es etwa je­ner im­mer wie­der neu ein­ge­brachte Vorstoss be­deu­tet, die Auto­bah­nen eben zu­neh­mend zwei und mehr­stö­ckig aus­zu­bauen, da­mit wir die ja so not­wen­di­gen Wach­s­tums­branchen rund um das längst zum Fetisch ei­ner süch­ti­gen Mobil­itäts­ge­sellschaft ge­wor­de­nen Auto nicht des­avou­ie­ren oder gar seine Her­stel­lung und sein Gebrauch re­gu­lie­ren müssen.

Klar steckt hin­ter dem kon­zept­künst­le­risch ein­ge­setz­ten Pack­en von zig Model­lau­tos auch ein ge­rüt­telt Mass an kind­lich spie­le­ri­scher Freude. Der rei­nen und ir­gend­wie un­er­klär­ba­ren Freude auch der Ästhetik des Kleinen als dem Gegen­spiel­er des wirk­lich­keits­be­las­te­ten Grossen. Eine Prise Laus­bub und ein Gran Pup­pen­stube auch. Ein Stück un­schul­dige Erotik des Materiellen und des Haben­wol­lens. Ein se­xu­el­ler Stim­u­lus le­dig­lich der hoch­ge­le­ge­nen Mit­telohrre­gion im Zuge der Vorah­nung auf das Paradies in Form zum Beispiel – in mei­nem Falle – ei­nes ed­len dis­kret por­phyr bis wein­rot glän­zen­den und prak­tisch ge­räusch­los aber mit der Kraft ei­nes Mil­itär­last­wa­gens da­hin­schwe­ben­den Bent­ley, den ich mir na­tür­lich nicht leis­ten könnte.
Aber ach! Die Peitsche aus dem viel­schat­tier­ten Grau der an der Real­ität ge­won­ne­nen Sta­tis­tiken zum Fetisch Auto schlägt er­bar­mungs­los auf den au­to­lüs­ter­nen Hin­tern ein!

Mara, der sich ja schon Beruf­swe­gen mit Sücht­en aus­kennt – auch mit den ei­ge­nen, wie man sieht – weiss, dass zu­min­dest theo­re­tisch jede Sucht zu über­win­den ist. Eine der Kar­di­nalien der Sucht­ther­a­pie ist die Vorbe­din­gung der Selb­sterken­nt­nis, der Erken­nt­nis des süch­ti­gen Selb­st. Dieses Erken­nen kann auf man­cher­lei Wege er­reicht wer­den. Schauen wir uns doch, um gle­ich da­mit zu be­gin­nen, ganz ein­fach in Gemein­schaft den Auto­block von Mara an und fan­gen wir ganz all­mäh­lich an ganz sacht un­sere Fes­seln zu lo­ckern, sie end­lich zu lö­sen, um schliess­lich ir­gend­wann un­ser vier­rä­de­ri­ges SM-STUDIO im küh­len Licht der noch vor­han­de­nen Gegeben­heit­en und un­se­rer hof­fent­lich noch in­tak­ten Ver­nun­ft als an­ge­nehm nütz­li­ches aber sehr spar­sam zu ge­brau­chen­den Fort­be­we­gungsmit­tel er­ken­nen können.

Sind wir in un­se­rem Sado­masochis­mus noch zu retten?

Mai 2015, W. Stud­er

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