Cochonnerie

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr42 Senkrechte Schweine

Nr42 Senk­rech­te Schweine

(stu) Der Psych­ia­ter führt einen Ror­schach­test durch. Der Pro­band asso­zi­iert bei jedem der unter­schied­li­chen Klecks­bil­der das Glei­che, näm­lich eine wil­de Sex­or­gie. Der Psych­ia­ter, eini­ger­ma­ßen ver­dutzt, fragt den Pro­ban­den, was denn mit ihm los sei. Der Pro­band, nun eben­falls ver­dutzt und leicht empört zum Psych­ia­ter: “Aber sie haben mir doch alle die­se Schwei­ne­reien gezeigt”!

Die Kunst liegt im Auge der Betrach­ter, stellt man mit Recht fest. Die Schwei­ne­rei offen­sicht­lich auch – und in vor­ge­ge­be­nen Fall des neus­ten Wer­kes des Kunst­wer­kers, den SENK­RECH­TEN SCHWEI­NEN, gilt dies in dop­pel­ter Wei­se, ist doch die­ses Werk ein sol­ches der Kunst und zugleich eine Schwei­ne­rei oder, im Ton etwas ele­gan­ter und weni­ger kru­de, eine COCHON­NE­RIE, die zudem inso­fern das Poten­tial zur hin­ter­sin­ni­gen Pikan­te­rie in sich trägt, als der Urhe­ber ja auch Psych­ia­ter ist. Ein Werk also, das – genau­so wie der ein­gangs zitier­te Witz – grund­sätz­lich und sozu­sa­gen zum Vor­aus Wahr­heit in sich trägt, die uns hier unbe­dingt als Pro­fi­laxe gegen die all­ge­meine Faul­heit des Den­kens und dito Humor­lo­sig­keit ärzt­lich ver­schrie­ben wird.

Wir haben es immer­hin mit einem Oxy­mo­ron zu tun. Einer Para­do­xie näm­lich, gebil­det aus einem Paar zwei­er sich gegen­sei­tig aus­schlie­ßen­den und negie­ren­den Begrif­fe, die den­noch, bzw. gera­de des­we­gen, prä­zi­ses­ten Sinn­zu­sam­men­hang erge­ben – wir haben es mit dem HEI­TE­RER ERNST zu tun! Und dies ist, las­sen Sie sich dies gesagt sein, ist nicht gleich zu set­zen mit einem Ernst, dem es an Ernst fehlt! HEI­TE­RER ERNST ist ein Gut jed­we­der Weis­heits­lehre und des­halb hat auch des Kunst­wer­kers COCHON­NE­RIE eine ech­te Eso­te­rik, das heißt, die­sem Werk wohnt eine Weis­heit inne, die nur einem klei­nen ein­ge­weih­ter Kreis von Ken­nern zugäng­lich ist. Also Hopp! Lasst uns Exo­te­ri­ker Detek­tiv spielen!

Was also ist da eigent­lich mit die­sen zwar senk­rech­ten aber anders als bei Edgar Allan Poe gemeint kopf­stän­di­gen bei­den Sau­en mit den jeg­li­cher Schwer­kraft trot­zen­den, waag­recht abste­hen­den vol­len Zit­zen – und damit im Sin­ne der Anti­ke “ort­ho­ti­tos”, mit ste­hen­den statt hän­gen­den Brüs­ten, die somit als noch jun­g­fräu­­lich-unver­­hei­ra­tet dar­ge­stellt erschei­nen? Und war­um im wei­te­ren die­se auf Men­schen zu bezie­hende Erklä­rung? Weil Schwei­ne uns seit jeher an uns selbst erin­nern, und zwar meis­tens – die armen Schwei­ne mögen uns ver­zei­hen – an jene Sei­ten von uns, die wir äch­ten – zumin­dest vordergründig!

Nie­mand möch­te ein Schwein sein und dies nicht allei­ne, weil wir die­se men­schen­ähn­li­chen Wesen zum Fres­sen ger­ne haben, son­dern weil wir an unse­re ver­bor­gens­ten Lüste gemahnt wer­den, wenn wir die­se per­vers ero­tisch, so gut wie haar­lo­sen und rosa nack­ten fleisch­li­chen Mani­fes­ta­tio­nen der halb­be­wuss­ten Natur betrach­ten. Kein Wun­der wur­de das Schwein nicht nur in der christ­li­chen Kul­tur als eine der Dar­stel­lun­gen des stets wol­lüs­ti­gen, unzüch­tig ehe­bre­che­ri­schen ( por­neion = Ehe­bruch) und der Völ­le­rei und vie­lem vie­lem lust­voll Sün­di­gen mehr ver­pflich­te­ten Teu­fels ange­se­hen. Und schließ­lich – wie so über­aus oft – ver­bin­det sich dar­über­hin­aus das nur dif­fus wahr­ge­nom­mene Por­no­gra­phi­sche mit dem Gewalt­tä­ti­gen, dem Sadis­ti­schen, dem Töten und Mor­den. Und in der Tat schei­nen die bei­den unglück­li­chen Sau­en des Kunst­wer­kers, gleich­sam den sagen­haf­ten Him­mels­stür­mer Tai­da­los und Ika­ros, senk­recht auf die Schnau­ze gefal­len und sie prä­sen­tie­ren sich so fürch­ter­li­cher­weise in exakt der Stel­lung, in der man die­se Lebe­we­sen zu schlach­ten pflegt.

Oh die­se armen Schwei­ne! Schwei­ne haben eben kein Schwein – denn die­ses haben halt nur Men­schen – und nicht nur dann, wenn sie eines haben.
Bei soviel Elend, das unse­rem Alte­rego in der Öffent­lich­keit beschie­den ist, bleibt nur noch übrig, uns Kar­ni­voren einen gute Appe­tit zu wün­schen, um das Gan­ze erfolg­reich zu verdrängen.

Über­haupt dür­fen wir in aller Frei­heit und in letzt­lich poli­ti­scher Poli­tik­ferne jede noch so unan­stän­dige, unkor­rekte, aber­wit­zig gespon­nene und hof­fent­lich geheim sehn­süch­tige oder poe­tisch höchst mora­li­sche Schwei­ne­rei asso­zi­ie­ren zu der wir ins­ge­heim fähig sind. Denn dar­um geht es: Kunst ist halt nur so span­nend, wie wir selbst bereit sind uns ver­füh­ren zu lassen.

Dem kunst­wer­ken­den Arzt sei hier­mit gedankt auch für die­se neu­este und wie­derum ganz und gar nicht bit­tere Pil­le. Wir, die Kon­su­men­ten die­ser Medi­zin, befin­den uns über­dies für ein­mal in der kom­for­ta­blen Posi­tion, dass nicht wir, son­dern allein der behan­delnde Arzt wegen all­fäl­li­ger Kunst­feh­ler lei­den muss.

W. Stu­der

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