Armer Hund

oder "Fractional Life"

Wer will sich denn noch ewig binden? Bere­its kann man Hunde für einzelne Monate mieten und zurück­geben, wenn man ihrer über­drüs­sig wird. Im siebten Artikel aus der Artikel-Serie Rah­men­hand­lung geht es um “Frac­tion­al Life”, dem neuen Trend aus den USA.
Wie im Über­sicht­sar­tikel angekündigt, soll hier das kün­st­lerische Konzept der Rah­men­hand­lung anhand von konkreten Beispie­len ver­tieft wer­den. Dies­mal mit ein­er Kurzmel­dung aus der NZZ am Son­ntag aus dem Jahre 2007, die ich wiederum aus dem bere­its vorgestell­ten Werk Nr18 Rah­men­hand­lung 5 ent­nom­men habe:

U S A - Die Mietgesellschaft

Die Autos und Kunst zu besitzen, sei Schnee von
gestern, sagt ein Trendbüro aus den USA.
Heute besitze man höchstens auf Zeit, partiell,
für ein paar Monate, höchstens Jahre.
Wer wolle sich denn noch ewig binden?
„Fractional life“ nennt man den Trend und er zieht
weite Kreise. Bereits kann man Hunde
für einzelne Monate mieten und zurückgeben,
wenn man ihrer überdrüssig wird...

17.06.07 NZZ am Sonntag

Das künstlerische Konzept der Rahmenhandlung

Das kün­st­lerische Konzept der Rah­men­hand­lung deutet eine Hand­lung als von ihrem jew­eili­gen Rah­men abhängige (Ab-) Hand­lung. Diese geschieht dem­nach nicht ein­fach frei und unab­hängig, son­dern wird durch ihre gesellschaftliche, biografis­che und organ­is­che Vorgeschichte (ihren Rah­men) geprägt. Es han­delt sich immer um eine Hand­lung im Rah­men — um eine Rahmenhandlung.

Auch die sub­jek­tive (Be-) Deu­tung ein­er Hand­lung wird durch ihren Rah­men geprägt. So erscheint dem sub­jek­tiv­en Betra­chter eine Hand­lung erst dann bemerkenswert, wenn sich diese in einem bemerkenswerten Rah­men “abspielt”.

Aber was heisst das nun für unser Beispiel?

Kein Wohlstand ohne Wachstum

Wen­den wir uns als erstes dem Rah­men von “Frac­tion­al Life” zu: Die Wirtschaft muss kon­tinuier­lich wach­sen, sagen uns Poli­tik­er und Ökonomen. Ohne Wach­s­tum keine Arbeit­splätze, keine Gelder für die Aus­bil­dung und keine Hil­fe für die Schwachen (Angela Merkel). Ohne Wach­s­tum kein ange­blich­es Glücks­ge­fühl (Avenir Suisse). Das polit-ökonomis­che Faz­it: Kein Wohl­stand (mehr) ohne unaufhör­lich­es Wirtschaftswach­s­tum. Beängstigend.

Entfesselter Konsum

Wirtschaftswach­s­tum ist let­ztlich immer auch Kon­sumwach­s­tum: mehr Kon­sumenten, mehr Kon­sum pro Kon­sument oder — opti­mal — gle­ich bei­des zusam­men. Deshalb müssen ständig neue Anreize zur Kon­sum­steigerung geset­zt wer­den, z.B:

- Pro­duk­te-Infla­tion (die 17. Zah­n­pas­ta, ständig neue Verpackungen)
— Ver­führung (“Weil ich es mir wert bin”)
— Markt-Aus­dehnung (freier Han­delsverkehr, Globalisierung)
— Kon­sumzeit-Aus­dehnung (24h-Shop­ping, Führerschein schon ab 16. Lebensjahr)
— Gen­der-Mix (Kos­metik und Schön­heitschirurgie — für den Mann)
— Kon­sumvor­bezug (Leas­ing, Kon­sumkred­ite, Hypotheken) usw.

Und wenn schliesslich der per­sön­liche Leben­sraum vollgestellt ist mit den unzäh­li­gen Pro­duk­ten des Kon­sumwahns, dann wird es Zeit, den Kon­sum weit­er zu steigern — durch das Ver­mi­eten indi­vidu­eller extern­er Lagerräume!

Die zeitliche, örtliche und indi­vidu­elle Ent­gren­zung des Kon­sums ist die logis­che Folge des ent­fes­sel­ten Zwanges, immer mehr Kon­sumenten zu immer mehr Kon­sum ver­führen zu müssen. So gese­hen ist “Frac­tion­al Life” nichts anderes als ein weit­eres (geniales) Husaren­stück auf dem Weg zum total­en Kon­sum: Was (noch) nicht verkauft wer­den kann, soll wenig­stens schon mal ver­mi­etet wer­den. Wir errin­nern uns: am Anfang stand die Angst. Arme Hunde, arme Menschen.

Hirngespinst

“Frac­tion­al Life” als Rah­men­hand­lung des Wach­s­tum­swahns und let­ztlich als Folge von Angst zu inter­pretieren, mag irri­tierend unge­wohnt sein. Aber die Hirnge­spin­ste des Kunst­werk­ers rah­men­han­deln nun mal ganz anders (-wo) als die Losun­gen von… Aber das wäre wieder eine andere Geschichte…

Ein- und Aussichten

Eine Hand­lung oder ein Geschehen als Rah­men­hand­lung zu betra­cht­en kann Ein- und Aus­sicht­en verän­dern: Herzzer­reißen­des Mitleid mit Miethun­den bliebe dem­nach zu hinterfragen…

Postskriptum

Auf dem Bild sehen Sie Olga, meine treue Beglei­t­erin in allen Lebensla­gen. Nein, sie ist nicht zu vermieten.
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Das Konzept der Rah­men­hand­lung hat mein Kunst­werken stark bee­in­flusst, weshalb ich ihm einen eige­nen Wer­kraum Rah­men­hand­lung geschaf­fen habe. Dort find­en Sie einen generellen Überblick über das Konzept.

Alle Artikel der Serie

  1. Serie Rah­men­hand­lun­gen
  2. Gefan­gen in der Badewanne
  3. Pfleger ohne Herz
  4. Unerträgliche Frei­heit
  5. Alles psy­chisch!
  6. Unter­gang, Dichter und Hochstapelei
  7. Armer Hund (Dieser Artikel)
  8. Finale

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