Musiker im Dichtestress

Nr33 Wachstum 3

Nr33 Wachs­dum 3

Auf der Seite über den Wach­s­tum­swahn habe ich darauf hingewiesen, dass explo­sives Wach­s­tum unter anderem auch zu ver­mehrten Verteil- und Ver­drän­gungskämpfen führt. Offen­sichtlich bleibt, wie man kür­zlich lesen kon­nte, auch die Musik­er­szene nicht vom Wach­s­tum­swahn ver­schont. Wie das? Immer­hin hat es doch Madon­na let­ztes Jahr geschafft, in die Liga der Mil­liardärin­nen [sic!] aufzusteigen. Kämpfe? Doch nicht in der Musikerszene?

Da trifft ihn der Schlag

Welche junge Band träumt nicht davon, im Radio ent­deckt zu wer­den, mit den Fans ins Gespräch zu kom­men, von den Labels kon­tak­tiert und für ein Konz­ert gebucht zu wer­den. Genau das ver­spricht das Band­por­tal SWISS MUSIC PORTAL MX3 den inter­essierten Bands auf sein­er Web­site. Das hört sich gut an, lässt die Herzen junger Grup­pen höher schla­gen und beflügelt so manche Hoff­nung auf den Auf­stieg zum Super­star. Lässt sich der ambi­tion­ierte Musik­er allerd­ings die “Bands in alpha­betis­ch­er Rei­hen­folge” auf dem Por­tal anzeigen, muss ihn wohl der Schlag tre­f­fen: 19’841 Schweiz­er Bands sind da bere­its reg­istri­ert! (Stand: Mai 2013).

Das Seufzen des Alt-68er

Bei diesem Masse­nan­drang geht der Überblick ziem­lich schnell ver­loren und so manch­er Alt-68er wird sich seufzend an die Zeit­en erin­nern, in denen die ganz per­sön­liche Iden­ti­fika­tion mit sein­er Lieblings-Band noch ohne grössere Qual der Wahl möglich war. An Zeit­en erin­nern, in denen es — emo­tion­al streng abge­gren­zt — Quartierkeller mit Rolling Stones-Fans und andere mit Bea­t­les-Fans gab, und son­st gar nichts. OK, es gab da auch noch ein paar Abtrün­nige, aber trotzdem…

Steinreiche und Arme

Allein in der Schweiz drän­gen sich also mit­tler­weile 19’841 Bands um den Pub­likums-Napf. Da erstaunt es nicht, wenn laufend neue musikalis­che Märk­te erobert wer­den müssen. Die Ohren rauschen neuerd­ings sog­ar auf dem Meer (Rock & Blues Cruise mit mehr als 30 Bands pro Schiff). Wann eigentlich wird Stille etwas kosten? Com­put­er und Inter­net haben sich in der Musik­szene schnell und uner­bit­tlich durchge­set­zt, gratis Down­load ist an der Tage­sor­d­nung. Heute lassen sich, mit min­i­malem Bud­get für die entsprechende Aus­rüs­tung, in jed­er guten Stube Ton­schnipsel zu ein­er Musik­datei zusam­men­fü­gen und ins Inter­net stellen. Im ständig wach­senden (Über-) Ange­bot ste­hen allerd­ings eini­gen weni­gen erfolg- und “stein­re­ichen” Musik­ern viele “brot­lose” gegenüber. The Win­ner takes it all.

Polo mag nicht mehr

Altrock­er Polo Hofer bringt es auf den Punkt: “Man verkauft immer weniger Ton­träger, aber umso mehr Musik­er und Bands gibt es. […] der Verteilkampf wird gröss­er.” Und weit­er unten: “Ich bin froh, dass ich nicht mehr muss […] ich mag bei diesem Zirkus nicht mehr mitmachen.”

Der Preis

Nun ja, vielle­icht ist es nur Altersmüdigkeit bei Polo und das Pub­likum ja glück­lich über die Vielfalt und Lebendigkeit der Musik­szene? Vielle­icht ist das ein­fach der freie Markt, der — wie uns die Ökonomen ehrfürchtig ver­sich­ern — immer recht hat? Die Kehr­seite des Wohl­standes? Klar ist jeden­falls: Der Rockzirkus wird auch ohne Polo unaufhör­lich weit­er wach­sen müssen. Das ist der zer­mür­bende Preis für den all­ge­gen­wär­ti­gen Wachstumswahn.

Und wenn der Sommer kommt

Sollte also der lang ersehnte Som­mer dieses Jahr doch noch kom­men, wer­den sich wieder lan­dauf und landab die (bald schon auf jed­er zweit­en Kuh­wiese ange­bote­nen) Ope­nairs gegen­seit­ig den Pub­likums-Kuchen stre­it­ig machen. Und das Heer von “brot­losen” Bands und die Qual der Wahl ein gutes (schlecht­es?) Stück weit­er wach­sen. Der Markt hat immer recht. _________________________________

Zitate/Quellen

  • Ste­fan Kün­zli, Ich will mich jet­zt zur Ruhe set­zen, Schweiz­er Pop, Polo Hofer (68) über die 5. Rock & Blues Cruise, die Schweiz­er Musik­szene und seine Pläne, erschienen in Aar­gauer Zeitung v. 29.05.2013.
  • Swiss Music Por­tal MX3: http://www.mx3.ch
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One thought on “Musiker im Dichtestress

  1. Ja, so geht das “beson­dere Erleb­nis” ver­loren. Das stetig wach­sende Überange­bot braucht Raum und Platz. Nimm Dir eine Wolldecke, set­ze dich irgend­wo auf eine Wiese, warte .. und Du hast vielle­icht in kurz­er Zeit den besten Platz am Openair…
    Es wird in Zukun­ft sich­er nicht ein­fach­er, sich “zur Ruhe zu set­zen”. Deshalb geniesse ich ger­ade jet­zt meinen “per­sön­lichen Raum” welchen ich habe, welch ein Luxus !! …


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