Gnade vor Recht

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr12 Aus dem Rahmen gefallen

Nr12 Aus dem Rah­men gefallen

(stu) Drei gle­ich­for­matige und ohne­hin gle­ichar­tige Quadrate in grauweiss­er Aus­dehnung, die nur mit je einem in eine Ecke geschobe­nen dunkel-blutroten kleinen Viereck zu ein­er unmit­tel­bar kaum merk­lichen aber eben doch sehr wirk­samen Span­nung und ins­ge­samt zum alle drei Gestal­tun­gen vere­inen­den Span­nungs­bo­gen zu führen ver­mö­gen. Zu diesem bewusst dezen­ten Gestal­tungssta­tus addiert sich dann aber noch ein Schriftzug in ein­er gestem­pelt erscheinen­den Blockschrift, die an Con­tainerbeschrif­tung, aber auch fast nos­tal­gisch an Mil­itär­magazine und Waf­fenbeschrif­tun­gen, an Panz­er­schiffe und Unter­see­boote erin­nert. Und in der Tat passt diese let­ztere Assozi­a­tion beson­ders gut, denn die drei Tableaus wirken ja wirk­lich wie alte stahlgraue Panz­er­plat­ten mit ein­er durch­drück­enden, ins Viereck gezwun­gene Blutspur.

Nein, obwohl rein abstrakt aus­ge­führt, es ist keine sinnlich angenehm aufzunehmende Kun­st, die uns der Kunst­werk­er hier anheim stellt! Ins­beson­dere, wenn wir den auf alle drei Bildtafeln annäh­ernd par­itätisch verteil­ten Schriftzug lesen. AUS DEM RAHMEN GEFALLEN ste­ht da, als wäre es ein von einem anony­men Beamten eines total­itären Regimes ver­hängtes und sicher­heit­shal­ber auf ewig einge­bran­ntes Verdikt, von dem man hin­wiederum nicht weiss, ob es der skan­dalösen, wenn auch dur­chaus design­n­mäs­sig deko­ra­tiv­en Schieflage der Bilder Rech­nung trägt, oder ob diese an ein sink­endes Schiff angelehnt erscheinende Schräge, diese Sin­klage, dieser höl­lis­che Winkel der Titanik, ein das Urteil voll­streck­endes Moment des Verdik­tes darstellt. Möglicher­weise – und ich tendiere unbe­d­ingt in diese Rich­tung – ist es ein Para­dox­on, das bei­des meint, das dann ein­er­seits in der im Werk bek­lem­mend ver­mit­tel­ten Unauswe­ich­lichkeit gegenüber jeglich­er anonymer Macht, als Hom­mage an Kaf­ka und in sein­er Para­dox­al­ität an Shake­speare zu ver­ste­hen wäre.

Klar ist natür­lich die Primär­botschaft Maras, der ja immer wieder den lächer­lichen Dirigis­mus dar­legt, dass zwar Kun­st aus dem Rah­men zu fall­en hat, um von der Clique der Appa­ratschiks, die sich als Intel­li­gen­z­i­ja der Kun­st- und Finanzwelt feiern, als solche beglaubigt zu wer­den, dass aber dann jeglich­es aus dem Rah­men fall­en von Kun­st einen neuen Rah­men der alten Ver­bürg­er­lichung zur Folge hat. Wer aus dem Rah­men fall­en will, fällt nir­gend­wohin, auss­er in den Rah­men zurück. Der einzige Fall, den eine solche um die Gun­st der Menge und um dir Gun­st der jew­eilig von dieser beglaubigten Gral­shüter der richti­gen, der wirk­lichen Kun­st bemühte Kun­st zur Folge hat, ist ein moralis­ch­er Fall und ein­er der let­ztlich in die Kun­st­ferne führt.

Ja, diese Zusam­men­hänge zu ver­mit­teln sind Mara wichtig und sie sind ihm in allem, was er als Kunst­werk­er tut und in seinem ganzen Denken zu ver­wesentlichen sucht als prinzip­iell philosophis­che Prämisse und als bewusstes Agens stets gegen­wär­tig. Und der Mech­a­nis­mus, der jedes Aus-dem-Rah­men-fall­en automa­tisch und unmit­tel­bar zu ein­er neuen Ver­rah­mung führen ist natür­lich auch ein beispiel­haftes Mod­ell des Leib­nizschen Deter­min­is­mus, zu dem Mara im Laufe seines Lebens eine starke Affinität entwick­elt hat.

Selb­stre­dend hat dieses Leben in sein­er Psy­che Spuren hin­ter­lassen, die sich auch in seinen Werken abbilden, auch wenn Mara richtiger­weise – wiewohl selb­st Psy­chi­ater – keineswegs bemüht ist, seine Werke psy­chogram­ma­tisch aufleben zu lassen – es geht eben um sehr viel mehr – auch wenn dieses niemals gek­lärt und gefasst wer­den kann, auch nicht künstlerisch!

Dies darf jedoch die Betra­ch­tung sein­er Werke nicht hin­dern, auch den Men­schen Mara, seine seel­is­che Befind­lichkeit, seine im selb­st un- oder halbbe­wussten rein men­schlichen Motive zu suchen. Denn immer ist der Kün­stler sehr viel stärk­er sein Werk, als es ihm selb­st und uns auf Anhieb erscheint und bewusst ist. Wobei es bei all den Ver­suchen das Werk zu ver­ste­hen, niemals um Enthül­lung und Ent­blös­sung des jew­eili­gen Autors zu tun ist – es sei denn, dass wir uns dadurch, in ein­er zweit­en Phase selb­st zu ent­deck­en ver­mö­gen, indem wir let­ztlich vor uns selb­st unser eigenes Selb­st enthüllen und entblössen.

Lassen wir uns, falls wir tiefenpsy­chol­o­gis­che Eroberun­gen im unbekan­nten Kon­ti­nent des Kunst­werk­ers und im noch unbekan­nteren und rät­sel­hafteren Kon­ti­nent unser­er selb­st – weil dieser uns zunächst zu Unrecht schein­bar zugänglich­er erscheint – nicht erschreck­en. Seien wir geduldig mit uns und auch mit allen andern und lassen wir dann vor allem GNADE VOR RECHT wal­ten. Kun­st sollte uns niemals neu­ro­tisieren, son­dern uns im Gegen­teil befreien dür­fen. Geben wir ihr und uns die Chance!

Mai 2015, W. Stud­er

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